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Klacks : Das Lied vom Ring
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S.Beuchert Offline
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Klacks : Das Lied vom Ring
Fundstück aus dem Netz


Für alle Ring Abhängigen


Quote:Das Lied vom Ring

Hinterm Haus kräht ein Hahn, durch das offene Fenster hört man die Nett-Mutter im Hof schon mit einem Eimer klötern. Unten im Dorf tritt einer eine Twin an. Der Quellbrunnen plätschert, und schließlich tut's im Turm der kleinen weißen Kirche erst vier dunkle und dann sieben helle Glockentöne. Sieben Uhr. Brrr! Gestern Abend starb der alte Häuptling der Indianer endgültig im Plattenarsenal!

Wir springen aus den Buntkarierten raus. Draußen ist es dunstig, vielleicht ein paar Grade über Null, aber das goldbunte Herbstlaub in den Gärten ist noch zu sehen. Bestimmt wird gleich die Sonne wie ein roter Ball über den Dunst steigen. Nicht so hoch wie im Sommer, flacher und weit, weit fort - aber es wird langen, den Ring noch einmal einen Tag auszutrocknen.

Der Motorrad-Wirt stellt uns den Tee hin und lacht. „Da habt ihr aber Glück mit dem Wetter -das sind die letzten, allerletzten schönen Tage. Das Laub liegt nur lose auf der Bahn, nur beim Brünnchen und im Pflanzgarten wird es vielleicht taufeucht sein. Und das gibt einen blanken Tag, schön wie nie zuvor Anfang November“.

Nun kau man langsam - lass dich nicht vom Nett-Wirt noch wilder machen! Und dann sind wir schon draußen und atmen tief diese saubere Eifelluft ein. Welch ein Tag! Beim Rausfahren aus dem Dorf lachen uns die Straßenarbeiter zu, die die Löcher auf dem Zufahrtsweg beseitigen. Warum machen die das weg? Für uns brauchen sie das nicht, denn das kleine Dorf am Rande des Nürburgringes ist uns so grade recht. Auf glatten Straßen wird so mancher die Einsamkeit suchen, der dafür bestimmt nicht den rechten Sinn mitbringt. Und wer vor Schlaglöchern Angst hat, passt sowieso nicht hierher. Aber die Zeit ist so - im Moor und in der Heide haben Ölbohrtürme auch die Birkhähne verjagt - gleich ihnen werden wir immer weiter wandern müssen. Aber heute morgen stehen hier die Rehe noch im grauen Schleier am Wald, ein frecher EicheIhäher taumelt über die Straße weg und schimpft hinter uns her. In den Senken und Tälern hockt der Nebel, aber links und schließlich genau vor uns strahlt die Nürburg schon im ersten tiefen Sonnenstrahl über den Dunst hinweg, und ein unsagbar schönes Bild der Wälder steht vor uns. Braun, rot, golden, tiefschwarz und dunkelgrün, hellgelb und weinrot - es ist eine überwältigende Farbensymphonie vor dem noch ganz zarten Blau eines wolkenlosen Himmels, vor dem sich langsam die Schwaden auflösen. Wir halten den Atem an, fahren langsamer und schauen. Über dem Galgenkopf kreisen Bussarde, und dann rauscht ein Fernlastzug Richtung Aachen an uns vorbei. Rot ist sein Aufbau, schwarz die Plane, weiß sind die Randlinien, und der Kapitän drückt zweimal auf das Horn! Es ist ein Luxemburger. Ja, ja - wir kommen schon, nur keine Angst.

An der großen Tribüne nageln sie den Ausblick und die Zuschauerräume zu. Die Hammerschläge der Zimmerleute klingen hell über den Startplatz. Man zieht das Winterdach über die Ohren, die Saison ist vorbei, und das Jahr der großen Rennen gedenkt schlafen zu gehen. Vorm Hotel steht nur ein gelber Mercedes 220 SE, am Boxenanfang gegenüber montieren die Degussa-Leute Versuchsreifen an einen Volkswagen. Rrrrrratsch! macht die Maschine, mit der sie die Radmuttern anziehen. Sonst ist es still, der Wind kommt von Südosten und singt ein bißchen in dem Holzgitter der großen Reklametafel. Hier oben ist kein Dunst, nur silberklare Luft, blendend helle Sonne mit flachen Strahlen.

Die Aral-Säule macht ihre Pumpengeräusche, als der Sprit in die Tanks läuft. Dann klappern unsere Ölmessstäbe. So still ist es hier, daß man diese Töne erstaunt als laut wahrnimmt. Der Schritt des Wärters durchbricht dann weiter die Ruhe. Wir ziehen die Handschuhe wieder an, nehmen den Gepäckaufsatz vom Elefantenboy runter und rollen zum Luftschlauch. Pscht! 1,8 vorn und 2,0 hinten. Zuviel? Wir werden sehen.

Tucke, tucke - macht die 69 S - man könnte sie beim Beschleunigen ja vielleicht schon voll aufziehen. Von Drees nach hier sind es vier Kilometer etwa. Aber tu langsam, lieber Freund. Fahr mal erst eine Senioren-Runde zum Anwärmen, schau nach Dunst und Nebel im Breidscheider Tal, nach Feuchtigkeit im Pflanzgarten, beim Brünnchen, auf der Döttinger Höhe und in der Südkehre. Aber doch zerreißt nun der Ton des Motors die Stille. Ersten, zweiten, dritten - da ist die Südkehre, fort ist er mit dem schwarzen Mustang!

Die Honda läuft im Leerlauf unruhig - 180-Grad-Welle nun zieh' ich sie auf - dann zweiter Gang. Beim Vorbeifahren winkt mir der Degussa- Versuchsfahrer an seinem VW zu und grinst. Wir kennen uns schon lange, sehen uns immer nur hier oben, neulich hat er eine Medaille für 100.000 Nürburgring-Kilometer erhalten. 100.000 Nürburgring-Kilometer!

Der Motor ist noch nicht richtig warm, drum ließ ich die 260er Kerzen erst drin. Die nächste Größe hat den Wert 280 bis 310 etwa, die nehmen wir nachher, wenn die Sonne höher steht, die Strecke garantiert frei von Laub und Nässe und der Motor richtig warm ist. Bis 8000 U/min will ich vorerst nur den Motor drehen lassen - gestern Abend hatte ich noch den 32er Zahnkranz am Hinterrad gegen den 34er Zahnkranz ausgetauscht. Südkehre - dritten Gang? Ja, bei 6000 etwa - nachher nehmen wird den zweiten mal - im langen Schatten der Tannen liegt ein rostroter Teppich von abgefallenen Nadeln, ein paar Blätter dazwischen. Vorsicht! Passieren kann ja eigentlich nichts, denn die Avons haben wir vorgestern fleißig mit dem Gilsterhobel bearbeitet. Aber lieber nicht gleich die wilde Jagd spielen. Ausgang Südkehre - ob der vierte Gang wohl auszudrehen ist? Bis 8500 U/min geht er gut, ich mache mich nicht lang - kommt später dran. Die 110er-Düsen werden langen.

Die Nordkurve ist schon ganz trocken - dritter Gang - und vor mir steht die Brücke über den Buckel weg und die schwarzen Tannen des Hatzenbach-Einlaufes. Eng ist die Stufe zwischen dem dritten und vierten Gang. Jetzt kommt die scharfe Linkskurve - zweiter Gang - das ist ein großer Sprung - schrammmm, wummmm - das war der Kippständer links. Das Dings schleifen wir wohl ab hier auf der Strecke. Dritten Gang rein - und vierten Gang - ich sause hinunter in die Rechtsbiegung und zum Hatzenbach-Hang hin. Die Maschine schaukelt auf den Wellen hart durch. Schwapp, schwapp, schwapp! Aber die Spur, die Linie bleibt!

Das Gras ist voller Tau am Rande, zwischen den Stämmen im Walde liegt noch ein Dunststreifen. Aber kein Laub auf der Bahn, keine Feuchtigkeit, die BMW-Spur ist nicht zu sehen - wo mag der Bursche mit der großen Maschine schon sein? Bis zum vierten Gang 8000 U/min schaffe ich ganz kurz bis dahin, wo das Geschlängel losgeht, wo man sich bei den meisten Maschinen den Kopf zerbricht, welches der richtige Gang ist. Zweiter, dritter? Im Zweifelsfalle den niedrigeren, das gibt vielleicht beim Rauskommen aus dem Labyrinth die bessere Beschleunigung. Links rum, nicht anbremsen, runterschalten, rechts rum - wieder rechts rum, links, rechts und wieder links – ratsch - das war der Kippständer - jetzt aufziehen! 8000, 8500 U/min - anbremsen - Rechtskurve, runterschalten - Linkskurve und hoch schalten, klein machen, es geht hinunter in die Quiddelbacher Senke!

Man ist schon drin im Rhythmus der Strecke. Sagte ich nicht eben, ich würde mich noch nicht lang machen? Zeigt mir den Mann, der nach dieser Stelle noch aufrecht sitzt! Entweder er hat einen dicken Bauch oder ein enttäuschendes Temperament oder vielleicht ein Altherren-Motorrad - der arme Kerl. Denn jetzt kommt der Wind, frische Luft pfeift am Schattenhang des Hatzenbachs in mein Gesicht, es rauscht in der Helmbelederung, es braust in den Ohren. Vierter Gang, 8500 U/min, 9000, 9500 - na, mach man zu - der Motor ist ja noch nicht ganz warm - und schon ist die Quiddelbacher Brücke da - tief in der Senke.

Vom Schatten weg sticht man in die Sonne hinein. Sie scheint auf den Anstieg zum Flugplatz, sie ist sogar warm, ich merke es durch das Leder. Die Hecke rechts leuchtet wie eine rotgoldene Flamme, wischt vorbei - da ist der Buckel auf der Quiddelbacher Höhe. Die Maschine fliegt hinüber, ich werde leicht, ganz leicht - Knie an den Tank! Sie federt ganz aus, leicht nur noch wie eine Feder berührt das Vorderrad den Boden - dritten Gang, 9500 U/min, welch ein Ton! Wehe, wenn das Ross eine labile Lenkung hat - an dieser Stelle entscheidet es sich, ob man ein Reiter ist oder nicht!

Der Lenkungsdämpfer der Honda ist auf - kein Pendeln - schon ist sie wieder fest auf der Bahn. Vierter Gang, 8200 U/min, der Tachometer steht bei 140 km/h, aber noch links bleiben, noch links, noch und noch. Endlich darf ich diese sanfte Rechtskurve anschneiden. Ich lasse mich hineinfallen, sie ist etwas länger, es geht zur Kuppe hinauf, sanfte Linkskurve, da ist die Dunlop-Brücke über die Strecke weg. Vollgas!

Dicht über die Straße weht von rechts wie ein riesiger brauner Lappen ein Raubvogel hinweg. Ist's ein Bussard? Ist es eine Weihe? Aber woher sollen hier Weihen kommen? Weit, weit geht der Blick ins Rund und nach Nordwesten zur Schnee-Eifel hin. Alles liegt im Sonnenlicht; die Höhen strahlen ihre Farben aus, aus den Tälern sieht man noch Spuren verfliegenden Nebels kommen. Der Wind steht mir im Rücken. Nun fliege ich auf dem sanften Gefälle dem Schwedenkreuz und den Kiefern des Waldes zu. 9800 U/min im vierten Gang! Auf dem Tacho stehen etwa 160 km/h - lass dich nicht narren, es sind höchstens 150 - hoffentlich bleibt das Schiff im Kurs, bleiben die Räder auf sauberer Spur - unheimlich schön pfeift die Luft mir entgegen. Es riecht nach Tannen, nach gefallenem Laub - es ist eine wunderbare Luft. Frisch, aber nicht kalt. Und da kommt die lange Linkskurve über die niedrige Kuppe bergab zur Aremberg-Ecke. Gas weg? Oder nicht? - Kerl, überlege nicht! Tu was - irgendwas - runter mit dem Bock in Schräglage, da rechts - ja, ja, da haben wir mal einen segeln gesehen bei der letzten Rheinlandfahrt, immer fliegen sie in diese Ecke, die Böschung hat kein Gras mehr dort. Was denke ich denn? Nicht denken, aufpassen - Aremberg!

Ganz links bleiben. Ganz links. Und immer noch. Nein, nein - noch nicht. Da hinten, da haben sie vor zwei Jahren den Wald weggerodet, da ist jetzt nacktes Feld, nur ein paar Föhren, ein paar Büsche stehen am Rande. So, jetzt kann ich bremsen, Gas weg, dritten Gang und hinunter um die Ecke zur Fuchsröhre hin! Die Brückenecke über die Poststraße kommt im Kurvenausgang auf mich zu - im Moment, wenn du vielleicht vor Schreck die Luft anhältst, in diesem Moment musst du hoch schalten, beschleunigen, musst du dich klein machen! Es gibt einen Geräuschschlag unter der Brücke durch und dann liegt das Schlängelgefälle der Fuchsröhre vor mir. Mal sehen, wer von uns hier das Gas stehen lässt!

Ganz gerade schneiden wir die sanften Kurven ab und fegen in den dunklen Grund des Waldes hinunter. Das Laub liegt nur lose, nur ganz rechts am Rand der Bahn ist es feucht. 9000, 9500, 9800 U/min! Herrschaften, nicht denken, was da unten unter dem Tank passiert! Wie es die Ventile in rasender Folge auf- und zuschlägt, welche Lastwechsel nun stattfinden, welche Ansauggeschwindigkeit in den Vergasern herrscht, was die Ketten machen - nicht dran denken! Es heult da unter mir - es rast - es kreischt - es ist wie ein pfeifender Hieb mit einem Schwert, ja - das Schwert eines Samurai - endlos scheint es zu gehen. Kein Ende dieser Tortur, dieser Anspannung? Mensch, Vollgas! - Noch nicht der Grund? -Ein neuer Ton kommt hinzu, es hört sich an wie ein ganz hoher spitzer Schrei - und dann haut es einen mit unwiderstehlicher Macht auf den Tank. Das Ende des Gefälles, der Grund und der sofortige erneute Anstieg! 20 Sekunden oder mehr - ich denke jedes mal wieder, daß es Stunden waren.

Mit dem enormen Schwung aus dem Gefälle heraus gehe ich die Steigung zum Adenauer Forst an. Noch nicht zurückschalten, es treibt einen weit genug hinauf! Ja, man saust ganz schön in feiner Schräglage um die kleine Linkskurve auf die erste Rechtsbiegung zu! - Links stehen Kiefern und Tannen auf einer hohen Böschung, rechts ist der bunte Herbstwald, ist die Hecke und leuchtet die Sonne. Kurz vor der Rechtskurve runterschalten! Und nicht zu früh hinein - außen bleiben, außen bleiben - je besser kommt man in die Zickzack-Folge hinein. Erst sehr spät gehe ich in die Rechtskurve und bleibe außen bis zum Kurvenschild. Und erst da lasse ich die Maschine in die scharfe Linksbiegung kippen. Schramm - das war der Kippständer! Wieder bin ich außen, bleibe den Bruchteil einer Sekunde länger dort, als man gefühlsmäßig sein möchte, gehe dann die Rechtskurve an und ziehe im zweiten Gang aus der Ecke heraus!

Adenauer Forst. Was haben wir hier schon gelacht, was haben wir hier aber auch schon für Dramen erlebt! Es ist die Ecke der Sonntagsfahrer. Wer hier nicht fahren kann, der sollte besser den Ring anderen überlassen. Stundenlang haben wir hier gesessen, zugesehen und mit jungen Fahrern diskutiert, kritisiert und beobachtet. Denn man kann viel lernen. Sonntagnachmittags meiden wir die Bahn, wenn wir es einrichten können. Da sehen wir lieber zu, denn zu viele Knallköpfe behindern einen und probieren da, zu viele, die wirklich nicht können, die aber meinen, wunder was sie für schnelle und mutige Rennfahrer sind. Auf vier und auf zwei Rädern! Doch lasst sie nur - es ist besser, sie segeln hier durch die Hecken und bleiben unter sich, als daß sie draußen mehr Unheil anrichten. Zu bremsen sind sie doch nicht.

Inzwischen kommt die lange Linkskurve beim Metzgesfeld in Sicht. Man kann sie schnell, man kann sie mit Vollgas nehmen, wenn man das Fahrwerk dazu hat! Wie gesagt: wenn man! Früher war die Ecke unruhiger, heute ist sie sanfter geworden, aber sie ist immer noch ein Problem. Auch hier gilt die Grundregel des Nürburgringes: nicht zu früh in die Kurven!

Der Motor ist nun wirklicht warm, er dreht in der Ebene im vierten Gang ganz aus, wenn ich mich lang mache. Und das sind ehrliche 140 km/h. Mit diesem Dampf gehe ich auf die Ecke los. Jetzt wird der Untergrund unruhig - die Fußspitze berührt schrammend die Bahn in Schräglage - die Maschine macht einige kurze, harte Huppse - sie bleibt in der Spur - ja, aber kurz Gas wegnehmen musste ich doch. Ich weiß nicht, ob es nötig war - vielleicht wage ich es in der nächsten Runde, den Hahn voll auf zu lassen. Man wird nach außen getragen, da ist eines der berühmten Heckenlöcher - aber es Iangt vorbei, und hinein geht es in die Kallenhard-Ecke. Zurückschalten.

Wieder schrammt der Kippständer auf dem Boden, und von hier aus beginnt das besondere Lied des Nürburgringes: die Abfahrt um die Kurven, um Wehrseifen herum nach Breidscheid hinunter. Es geht zuerst um die Felsen rechts herum am Kallenhard, und hier lugt der Schalk aus den Büschen. Ganz im Schatten liegt das Stück jetzt, aber nur trockene Nadeln, etwas trockenes Laub bedecken die Straße. Aus der Hecke links flitzen ein paar kleine Vögel heraus, ganz rechts bleibe ich und ziele auf die Heckennase bei Kilometer 8,6. Geradeaus ist ein Telefonkasten. Dritter Gang, oder soll ich den vierten wagen? An der steilen Böschung, rechts widerhallt der Auspuffton - 9000 U/min, 9500 U/min, hoch schalten, vierter Gang - 7500, 8000, mit dem Arm berühre ich links die Heckennase und habe die lange Rechtskurve bergab vor mir. 110 km/h habe ich hier bislang halten können - vielleicht wagt ein besserer Mann mehr - und um die Ecke schießend, ganz tief in rechter Schräglage und hinausgetragen bis zum äußeren Rand, habe ich das erstemal die frühe Herbstsonne voll im Gesicht.

Ganz anders sieht die Welt aus! Ich muß kurz blinzeln, der Fahrtwind pfeift durch eine Ritze in der Brille, mein linkes Auge tränt sofort. Gerade kann ich noch den Gärtner an der Hecke sehen. Ich drücke kurz auf den Hupenknopf, er winkt mir zu. Wir kennen uns und schätzen diese Begegnungen - ich passe auf ihn in den Kurven auf, er achtet, daß ich pünktlich die Rundenzeiten halte und horcht dem Ton der Maschine nach. Man kann es weit in den Tälern hören - das Auf und Ab der Drehzahl, das Schalten, Gaswegnehmen, das Heulen der Motoren. Aus dem eleganten Schwung der langen, schnellen Rechtskurve heraus neigt man die Maschine links um die Mauerecke und die Heckenkante der Wehrseifen-Kurve herum. Im zweiten Gang. Ganz, ganz dicht an die Hecke ran! Und dann wieder im besonderen Rhythmus dieses Abschnittes die Rechts- und Linksbiegung hinunter über die Brücke bei Breidscheid. Halbzeit!

Sagen über die Nürburgring-Ritter berichten, daß Duke, Surtees, der Meier Schorsch, Liberati und andere große Fahrer die kleine Abschrägung am äußersten Streckenrand in der Kante der Brückenmauer als Bande benutzten, wenn sie in das Tal hinunterjagten. Fotografiert hat das niemand, aber hartnäckig halten sich diese Geschichten.

Etwas feucht ist die Luft, aber der Dunst ist weg. Aus dem Dach des Wärterhauses hier unten kräuselt ein Rauchwölkchen hinaus in die Sonne. Aber es ist noch kühl im Grund, dort oben war es viel wärmer, und ich will eilen, daß ich wieder in die Berge komme. Kilometer 10 ist hier. Die zweite Strophe des Liedes fängt an. Die Melodie ist zuerst nicht so voller Schwung und Eleganz - denn zäh klebt das Pferd nun an der langen Steigung hinauf zur Hohen Acht.

Ich sause hinauf zur Bergwerkskurve. Hops - das war der kurze Buckel dort im Schatten des Grundes - ich schlage hart auf die Sitzbank auf. Aber noch geht der vierte Gang. Im dritten wage ich die Bergwerkskurve, lasse ihn auch drin, denn jetzt geht es hinauf. Gerade so zwischen 7 und 11 % . Gerade so zwischen dem dritten und vierten Gang, zum Sterben zuwenig, zum Leben zuviel. Man muß es probieren, was das Rösslein noch mag. Hauptsache ist der Drehzahlmesser.

Ich habe mich wieder in die Sonne gedreht, bei Kilometer 13 schaue ich voll in sie hinein. Rechts und links erheben sich Wände, ist Wald - meine Augen wandern kurz dorthin, denn am Hang sah ich rechts vor einigen Jahren eine Rotte Sauen. Seit dieser Zeit muß ich immer zwischen die Bäume peilen, ob vielleicht wieder einmal so ein schwarzer Geist der Nürburgwälder auftaucht. Der Wald ist schon licht, man kann in ihn hineinsehen, aber nur ein Sprung Rehe ist flüchtig zu erkennen. Kerl, schau auf den Drehzahlmesser - probier doch mal den vierten Gang - aber es hat keinen Zweck. Endlos scheint dieses Stück zu sein. Nun kommt der kurze Buckel, steil - mit diesem Fahrwerk kann ich wohl in Schräglage bleiben - hops, bin ich drüber - kurz jault der Motor hoch, weil das Hinterrad vom Boden kam. Und da flattert mir ein Blatt ins Gesicht.

Vor mir liegt die Rechtskurve und der Anstieg zum Karussell. Der dritte bleibt drin, bis oben auf der Hohen Amt, wo der Schwung in die Fahrt zurückkehrt. Karussell ist eigentlich nichts, was soll daran schwer sein? Nur richtig rein und richtig raus und die Knie am Tank lassen, die Arme locker , nichts verkrampfen, aber auch keine :zusätzliche Schräglage probieren - jedenfalls zuerst nicht. Die Ein- und Ausfahrpunkte sieht man genau. Viel, viel schwerer ist das Stück am Eschbach und am Brünnchen.

Da komme ich an - mit Riesenschwung vom Wippermann herauf den Höhen der Waldberge, mit freier Fahrt. Warum gibt es kein Lied, das hierher passt und das man singen und jubeln kann, wenn die Maschine zur Eschbachkurve hinauffegt? Diese Rechtskurve über die Bergkuppe, auf die ich mich 14 Kilometer lang gefreut habe! Hinein ins Licht saust man da, ganz, ganz tief geht die Schräglage - man meint, mit dem rechten Arm die Grashalme des Straßenrandes zu berühren, es hebt einen wie im Fluge hoch und man wischt über die Kuppe hinweg hinunter zur Linkskurve der gefährlichen Brünnchen-Region. Mir bleibt ein wenig der Atem stehen, aber die Maschine klebt am Boden, wischt nicht weg, zieht genau ihre Linie. Es ist wunderbar. Aber keine Verrenkungen und Mätzchen sind angebracht!

9.500 im dritten Gang, und jetzt brauche ich die Bremsen an der Linkskehre. Da hat der Claus doch mal im Wald eine Landung gemacht! Aber der Gedanke ist schon wieder weg, ich forsche nach Laub, feuchten Flecken und abgefallenen Tannennadeln. Es ist innen alles frei und trocken, man kann also hart bremsen, wenn es sein muß. Die Maschine taucht in die Gabel - kein Flattern der Holme, kein Ausbrechen - und das langt auch schon. Rum um die Ecke! Da ist die Rechtskurve, da unten die kleine Brücke und dahinter der Hang am Brünnchen. Der Schwung ist noch nicht raus, der Rhythmus stimmt noch, es treibt mich nach außen und hinab in die Tiefe, und man atmet schneller. Der dritte Gang kann bleiben - aber da - am Aufhang liegen Blätter, das ist Nässe, in der Rechtskurve da am Berg ist es dunkel, da liegen Nadeln, ist es feucht - zweiten rein. Es ist direkt am Hang in leichter Schräglage.

Walter Steffan am Brünnchen mit der Motobi-Catria SS

Aber das Motorrad bleibt auf dem Kurs, ich bin schon raus aus dem Schneider hier, der Pflanzgarten beginnt. Ich suche wieder den Schwung, den Takt. Das Lied ist unterbrochen worden. Hinter der Linkskurve im Gefälle finde ich alles wieder. Sonne, Fichtenduft, goldenes Laub - den rasenden Fahrtwind im Gesicht - ja, es ist der vierte Gang möglich. 9000. Hinab geht es, dann wieder hinauf durch diese wunderschöne, schnelle Pflanzgartenkurve und wieder in den Grund hinunter . Alles im vierten Gang zwischen 8.000 und 9.000 U/min. Aus dem Pflanzgarten herauskommend sehe ich in der hellen Morgensonne den Schwalbenschwanz vor mir.

Runter mit dem Kopf, Arme anlegen, Knie fest an den Tank, Gas stehen lassen im vierten Gang, und mit dem Feuerzeug eine Linie in der Senkrechten bildend in die lange Rechtskurve - auf dem Brückenrand sitzt eine dicke schwarze Amsel - kurzer Hang und Linkskurve über die Kuppe, jetzt zurückschalten – 9.500. U/min. Die Sonne wärmt ja schon. Aufpassen, daß es einen nicht rechts an die Böschung wirft, wenn man in Schräglage über die Kuppe springt! Es geht gut, vor mir liegt die Schwalbenschwanz-Ecke. Und da hinein stecke ich im zweiten Gang - der dritte wäre auch möglich gewesen - vielleicht das nächste Mal, sorry Sir. Auffahrt zur Döttinger Höhe und zum Galgenkopf.

Hier ist das Lied eigentlich zu Ende. Noch einmal wirft mich der Schwung einen Berg in einer Rechtskurve hinunter, aber es kommt die lange Gerade. Ein wenig auf und ab - aber der vierte Gang bleibt drin bis hinter die Antoniusbuche. Zwischen zwei goIden im Herbstlaub schimmernden Hecken fege ich die Gerade entlang. Ganz klein und ganz hineingekrochen in das Tempo.

Der große Platz ist da. Das Start- und Zielhaus. Die BMW ist auro da. ldI rirote miro auf und puste die Luft tief aus meinen Lungen heraus. Drei- zehn Minuten und einige Sekunden. Oben am Himmel sind zwei weiße, lange Kondensstreifen -es rausdtt über die Berge weg, und wir beide sehen uns an. Lachen. Irgendwas zu sagen? „Ich schraub' die hohen Kerzen rein!"

Der Tag geht vorbei. Der Himmel ist noch immer klar, man kann die Nürburg beinahe greifen, so sauber ist die Luft. Krähen rudern in ungeordnetem Haufen rufend in der Dämmerung über die Felder zu den Wäldern hin, und wir stehen vor der Tür und packen unsere Sachen ein. „Warum müssen wir eigentlich morgen wieder weiter?“

Am Brunnen vor dem Motorrad- Wirtshaus steht ein großes Pferd und trinkt in langen Zügen. Ganz tief zieht es das klare Wasser ein. Dann hebt es den Kopf, wendet langsam und zieht in die Gasse hinein zu seinem Stall. Seine Hufe klappern laut durch die Stille des Dorfes. Es wird morgen und alle Tage abends hier stehen und seinen Durst löschen.

Im Saal beim Wirt steht eine Sportmax, die wollen wir uns noch ansehen. Wem mag sie gehören? Man hat sie vergessen.



Klacks

   




Klacks:

Ernst Leverkus
*1923 - 19. Mai 1998

Motorradtester für die Zeitschriften "Das Motorrad" und "PS"
Zu seinem Testprogramm gehörte auch immer Runden auf dem Ring, dabie kamen wohl über 150.000 km allein auf dem Ring zusammen.

Gruß Swen

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21.02.2006 00:23 AM
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Wolfgang Buthe Offline
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Post: #2
RE: Klacks :  Das Lied vom Ring
Danke Sven !supi

Es ist unglaublich wie viel Atmosphäre immer wieder in Klacks'
Berichten herüberkommt.

Wolfgang.

"Man spürt es, wenn man nach langer Fahrt von der Landstraße abbiegt und den schwarzen Asphalt des Ringes unter den Reifen hat; da ist irgend etwas anders !"

Wolfgang Graf Berghe von Trips
21.02.2006 09:21 AM
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